Premiere: Das fliegende Kind

Ein Sankt-Martins-Umzug in einer Großstadt.
Die Kinder ziehen mit Laternen durch die Nacht. Große und kleine Menschen folgen dem Licht und verschmelzen zu einer einheitlichen Masse. Da fällt es nicht auf, wenn ein kleiner Junge noch mal schnell zurück läuft, weil er sein Spielzeug hat fallen lassen. Raus aus dem Licht ins Dunkel. Über die Straße, wo ein schwarzes Ungetüm angerast kommt. Das Auto ist neu, der Fahrer noch ungeübt im Umgang damit. Und so spürt er nur einen leichten Widerstand, kaum wahrnehmbar. War da was? Ein fliegendes Kind?
Alles kreist um den Moment, den man hätte verhindern müssen und den man nicht verhindert hat: Der Unfalltod eines geliebten Kindes.
Das Unglück wird wie eine Art Ritual immer und immer wieder durchlebt. Die Ereignisse werden erzählt und erspielt. Das Bild einer düsteren Großstadt entsteht, in der Kinder vollkommen ungeschützt zu sein scheinen. Die Geschehnisse werden untersucht, so als könnten sie durch die intensive Betrachtung ungeschehen gemacht werden. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht ändern und so nimmt der Laternenzug seinen unheilvollen Verlauf.
Roland Schimmelpfennig treibt den tragischen Tod des Kindes wie einen Stachel in unser Fleisch. Er lässt von Beginn an keinen Zweifel am schlimmen Ausgang des Lichterumzugs und erzählt von einem unaussprechlichen Verlust. Doch wer hat Schuld an dem Tod des Kindes? Wie Störfeuer flackern die moralischen Verfehlungen der Eltern durch das Todeslied. Und so fliegt die Schuld mit dem toten Kind umher. Und setzt sich auf die Schultern derer, die verloren. Ohne Wenn und Aber. Denn Wenn und Aber existieren nicht mehr.
"Das fliegende Kind" ist ein Requiem, vorgetragen von einem Schauspielerchor; ein poetischer, märchenhafter Text, der trotz seiner Düsternis von einem verzweiflungsvollen Erlösungswunsch getragen wird.

Von Roland Schimmelpfennig

Aufführung im Studio